Das Heldenstück

Die Ehre, bei einem Festschmaus oder einem Gelage das „Heldenstück“ überreicht zu kriegen, war ein Brauch, der sich - wenn auch in leichten Variationen - in vielen Heldenepen und in zahlreichen Sagen und Legenden quer durch die Kulturen der Erde immer wieder findet. Allein, wenn es anderswo nur eine gelegentliche Tradition war und auch selten in tödlichen Duellen endete, so wurde es in den Sagen der Inselkelten zum absoluten Kultthema. Noch in der Sage um den kymrischen Arthur taucht das Thema des Heldenstücks auf, als sie versammelt vor dem eroberten Zauberkessel sitzen.
Neben dem „ehrenvollen Kopfabschlagen“ war der „Zweikampf um das Heldenstück“ wohl das bekannteste irische Kampfritual zwischen ehrenvollen und ruhmreichen Einzelkämpfern, zumindest berichten das die Sagen und Märchen. Entsprechende Aufzeichnungen über dieses männlichste aller Rituale sind - wenn auch nur fragmentarisch - im „Book of the Dun Cow“ wiedergegeben; die älteste bekannte irische Sagenhandschrift, die wahrscheinlich um 1100 n.u.Z. verfasst und 1870 relativ ungenau, weil mit nachgewiesenen Interpolierungen wiedergegeben wurde. Neben dieser Handschrift berichtet noch der Hellene Poseidinos in einem von dem griechischen Schriftsteller Athenaios überlieferten Fragment von diesen „Zweikämpfen“. Angesichts dessen, daß Poseidinos von 135-51 v.u.Z. lebte, kann man ermessen, wie weit diese Berichterstattung zurückliegt und in welche Epochen diese ehrenvolle Duelle zu verlegen sind. Laut Poseidinos versammelten sich die Kelten bei Gelagen immer "in Waffen" und Anrempeleien oder freundschaftliches Geschubse arteten oft in Keilereien aus, bei denen auch nicht selten Blut floß. Die Tradition wollte, daß bei solchen Gelagen oder anderen großen Feiern meist Schweine am Spieß gebraten wurden und dem tüchtigsten Anwesenden das beste Stück vorgesetzt wurde. Wenn jemand es ihm streitig machte, weil er glaubte noch tüchtiger zu sein, dann wurde die Entscheidung im Zweikampf nicht selten auf Leben und Tod ausgefochten.
In Irland und Wales erinnerte man sich noch lange an diese alten Bräuche und wenn sie auch schon längst nicht mehr praktiziert wurden, so flossen sie doch auch weiterhin noch in die zahlreichen Sagen, Legenden und Märchen ein.
In der Sage "Der Streit um das Heldenstück" (zu Zeiten von König Conchobar macNessa) sind es die drei ruhmreichsten Krieger der Ulain, die sowohl um das Heldenstück streiten, als auch wegen ihm und um ihrer Frauen Ehre willen auf die Probe gestellt werden, bzw. ihre Initiation bestehen müssen:
- Laegire (der Siegreiche - der Schläger von Brig - der heiße Schläger von Mide - der rotflammende Donnerkeil ) Sohn des Connad und Mann von Fedelm Noichride.
- Connal Cernach (Krieger des Sieges und des Wettstreits - schnellster und verlässlichster aller Ulter) Sohn von Amergin macEccit und Finchoem und Milchbruder von Cullans Hund(Cuchullain).
- Cuchullain (Cullans Hund - Setana) (Schlachtensieger von Brig - Glanzmantel von Liffey - Schoßkind von Emin - Geliebter aller Frauen und Mädchen) Sohn der Dechtire und mythischer Held des Ulsterzyklus.

Diese Geschichte und die meisten der anderen Sagen und Märchen wurden über Jahrhunderte hinaus von den Nachfolgern oder Berufsgenossen der Barden weitergereicht. Die "Geschichtenerzähler" zogen durch das Land und unterhielten die Menschen mit ihren Helden-, Grusel-, Feen- und Königsgeschichten, die sie in der Regel ziemlich frei und nicht immer getreu der Überlieferung weitererzählten. Die Geschichten wurden im Laufe der Zeit erweitert, angereichert, entstellt und verfälscht, aber immer als spannende und "wahre Geschichten" (ich schwöre, was mein Stamm schwört) weiter erzählt.
In der Sage um das Heldenstück schienen die Erzähler einstimmig auf der Seite von Cullans Hund zu stehen, wodurch sie Laegire und Connal Cernach nicht nur mythologisch abwerteten, sondern dazu beitrugen, dass Cullans Hund unsterblich und in gewissem Sinn neben Finn zum irischen Artus wurde.Werden die großen Helden – gemessen an unseren heutigen Maßstäben und Sichtweisen – in der Regel als strohdumme, rauhe und indifferente Schlägertypen, Mörder und Vergewaltiger und profilneurotische Brutalos dargestellt, so darf man die archaische Epoche und ihre brachialen Gepflogenheiten nicht mit der heutigen Zeit und Kultur vergleichen. Auch sollte man die bardischen Üebertreibungen berücksichtigen, die ihre Helden der obersten Güteklasse über den Klee gelobt und gefeiert und in den tollsten Farben geschildert haben. So z.B., wenn Cullans Hund in extremen Notsituationen zur Metamorphose greift (seine Cless > Kunststücke) um die übermächtigen Feinde letzten Endes doch noch zu besiegen. An solchen erzählerischen Höhenflügen kann man ermessen, wie sehr die frühen Barden, die Druiden und später die Filids und Geschichtenerzähler die Erzähllust und die Ausschmückungen überhaupt reizte. Zudem konnte es durchaus lebensgefährlich werden, wagte man es, den Hof- und Haushelden auch nur ansatzweise zu kritisieren. Nicht bloß die Heldentaten ihrer Lieblinge waren maßlos übertrieben, auch die Schilderungen der Gelage und die Beschreibung der Ausstattungen der Festräume war überschwenglich, wenn nicht gigantisch. Allein, die in den Sagen überdurchschnittlich angelegten Lager und das mehr als üppige Dekor entsprang ebenso der Begeisterung und der Fantasie der Erzähler, die ihre Helden ohnehin schon als Riesen sahen, denen ergo auch entsprechende Dekors zustanden. Solche "Uebertreibungen" und nicht selten Erfindungen sind in den Bardengesängen gang und gäbe. Sie schufen schillernde Heroen und sangen Heldenepen, jenseits von Zeit und Raum, jenseits der Realität, was ihre Werke für die Nachwelt auch nicht unbedingt besser les- und interpretierbar machte. Die christliche Pflicht der späteren Uebersetzer, aber auch ihre häufige Unkenntnis der Materie machten die Verdaulichkeit der Heldengeschichten nicht leichter.

Der Sohn des Cu-Roi Dare
Die Sage vom Heldenstück

Zu Zeiten Conchobar macNessas herrschten insbesondere in seinem Fünftel von Ulster extrem rauhe Sitten und die Helden sprossen nur so aus dem irischen Mutterboden, allen voran Laegire, Connal Cernach und Cullans Hund. In der Sage um das Heldenstück werden sie definitiv auf die Probe gestellt, wem es denn nun rechtmäßig zustünde. Wie es sich für Bardengesänge gehört, werden sie ausschweifend und langatmig verfasst, weshalb ich mich hier auf eine geraffte Zusammenfassung beschränken möchte. Der vornehme, aber auch ungemein hinterlistige Bricriu - genannt "die Giftzunge" – war immer auf Streitsuche und die Ulter waren seine bevorzugten Opfer. In seiner Lust am Intrigieren hatte er den Ultern angeboten auf seinem Land ein großes Gelage abzuhalten. In jenen Zeiten war dies nicht Ungewöhnliches, denn Conchobar und sein Gefolge waren dauernd auf Sauf- und Prügeltouren, bei denen auch ihre Frauen nie fehlten. Bei dem Gelage ging es dann auch wie gewohnt um Prahlerei, ums Essen und Trinken und natürlich um die Ehre das Heldenstück zu erhalten. An diesem Gelage konnten die drei großen Krieger Laegire, Connal Cernach und Cullans Hund sich nicht einig werden. Bricriu hetzte sie in Einzelgesprächen noch zusätzlich gegeneinander auf und spielte dasselbe Spiel mit ihren Frauen. Bei den Frauen ging es um die Ehre, als Gattin der Helden als erste den Zechsaal betreten zu können.

Die Situation spitzte sich zu, so daß Conchobar und Sencha, sein Berater und Druide, einschreiten mussten um in einem heftigen Dreikampf nicht seine besten Krieger zu verlieren. Er und sein Druide beschlossen, bei einem Dritten um Rat und Entscheidung zu fragen. Die Wahl fiel auf Allil von Cruachna, der seinerseits diese Ehre auch nicht abschlagen konnte, obgleich er sich kaum in der Lage sah, als wirkungsvoller Schlichter zu fungieren.
Alill war zwar König, in Wirklichkeit aber führte Alills Frau Medb in Cruachna das Zepter und sie empfing die erhitzen und wilden Krieger listigerweise mit angepaßten Empfangsgeschenken, da es zu befürchten war, daß die streitlustigen Helden sonst zu übermütig würden und die Gastgeber erschlügen. So bot sie für die drei Helden je fünfzig Frauen und Kübelweise kaltes Wasser um sie abzukühlen, bevor man von ihnen überhaupt eine einigermassen vernünftige Haltung erwarten durfte.

Alill überließ seiner Fürstin die Schlichtung und die hinterlistige Medb tat ihr Uebriges um Bricrius Aufhetzung noch höher zu treiben. Sie beschenkte die Helden mit teuren Schalen verschiedener Qualität und stufte sie damit derart ab, daß die Helden sich gewiß nicht einig werden konnten. Und als die Entscheidung veröffentlicht wurde, kam es wieder zu einer Keilerei zwischen den Auserkorenen, so daß Conchobar und Sencha wieder Einhalt gebieten mußten. Ein weiterer Richter musste her, der über die Ehre des Heldenstücks entscheiden sollte.Diesmal sollte es Cu-Roi Dare sein. Cu-Roi war nun aber ein König, der sehr wenig mit irischen Gepflogenheiten am Hut hatte, sondern sehr skythisch eingestellt war und auch sehr viel Zeit im östlichen Königreich Skythien verbrachte. Ihm war es überlassen, eine Wahl zu treffen. Cu-Roi galt als sehr fair und bestimmt und liebte es nicht, wenn seine Entscheidungen oder sonst welche Händel nicht eingehalten wurden.

Als Probe erhielten die drei Helden je eine Nachtwache über Cu-Rois Stadt, die günstigerweise zu derselben Zeit von allerhand Gesindel und übernatürlichen Wesen bedroht wurde. In diesen Nächten der Wacht durchlebten die drei Helden die teuflischsten Greuel und härtesten Kämpfe und siegten jedes Mal, wenn auch nur um Haaresbreite. Als es zur Kundgebung kam, erklärte Cu-Roi Cullans Hund zum besten Kämpfer Irlands aufgrund dessen, was er hier geleistet hatte. Die Krise schien nunmehr beilegt und anfänglich stimmten Laegire und Connal Cernach auch zu, doch unterwegs zu Conchobars Hof änderten sie schon wieder ihre Meinung und beim Gelage herrschte wieder die übliche Zwietracht. Conchobar beschloß darauf hin, daß kein Heldenstück mehr ausgeteilt werden würde, weil es ihn sonst nur die besten seiner Krieger kosten würde.

Dies blieb nun auch für lange Zeit so, bis eines Tages während einem der üblichen Gelage ein wahres Monstrum von Mann auftauchte, Haare wie ein Wald, Arme und Beine wie Baumstämme und in der Rechten eine Axt mit einer Schneide von neun Fuß, die so scharf war, daß sie ein Haar gegen den Wind spalten konnte. Er trat vor die Gelagerunde hin und forderte die drei Helden zu einer Form von Duell, das es bisher in der Geschichte der Iren noch nie gegeben hatte. Er bot sich an, von jedem der drei geköpft zu werden und forderte als Gegenleistung, daß er jeden Gegner am Tag nach der Enthauptung als Revanche seinerseits köpfen würde. Anfangs verstanden die Anwesenden diese Art des Zweikampfes nicht, denn wie konnte ein Geköpfter tags drauf Revanche verlangen ? Allein, diesem ungewöhnlichen Angebot konnten sich die Helden nicht entziehen.

Laegire schlug dem Riesen als erster den Kopf ab. Daraufhin stand der Riese vom Holzbock auf, nahm seine Axt und seinen Kopf und ging lachend von dannen. Bei jedem Lacher spritzte ein Schwall Blut aus dem abgetrennten Hals des Giganten. Als er am anderen Tag wieder mit seinem Kopf auf den Schultern erschien um Revanche zu fordern, war Laegire nicht anwesend und er kam auch nicht, nachdem alle lange gewartet hatten. Die Riese forderte nun Connal Cernach heraus. Dieser köpfte den Giganten und jener nahm seine Axt und seinen Kopf und ging lachend von dannen. Tags darauf erschien jedoch auch Connal nicht zur Revanche und Conchobar begann sich heimlich seiner Helden zu schämen. Nun war es an Cullans Hund, dem Riesen den Kopf abzuschlagen. Er tat es und der Riese ging wieder fort. Am folgenden Tag aber stellte sich Cullans Hund seinem Schiksal:

"Bei meinem Schild und meinem Schwert, ich gehe nicht fort, bis ich dem Kerl mein Wort gehalten habe. Sterben muss ich irgendwann, also sterbe ich gleichwohl hier und in Ehren".


Der Riese grinste und schwang die Axt derart wuchtig hoch, daß der Luftzug die Gewänder der Anwesenden flattern ließ und ließ sie mit einem heulenden Sausen herabfallen, stoppte sie jedoch haargenau über Cuchullains Halswirbel und lachte dröhnend, daß man es in ganz Ulster hörte:

"Steh auf, Hund Cullans ! Es gibt keinen Kämpfer in Ulster noch in ganz Irland, der sich einbilden könnte, dir an Tapferkeit und Waffenkunst und Ehrlichkeit gleichzukommen. Von Stund an hast du den ersten Rang unter Irlands Kriegern und das Heldenstück ist unbestritten deins. Deiner Frau wird auf immer den Eintritt in die Zechhalle vor allen anderen Frauen gewährt. Und sollte euch einer das streitig machen, so schwöre ich, daß er dadurch sein Leben verwirkt hat".

Sprachs, verschwand der Gigant. Dieser Riese aber war Cu-Rois Sohn gewesen, der gekommen war, seines Vaters Entscheidung zu erfüllen. Cullans Hund wurde nie mehr das Heldenstück streitig gemacht.

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