Fälschungen

1. Hausgemachte Geschichte

Mehrere Faktoren waren für die Ueberlieferung der Besiedlung der britischen Inseln ausschlaggebend. Neben den heidnischen mythischen Ueberlieferungen der Waliser und der Iren kamen zu Zeiten der Christianisierung, als die meisten Druiden konvertierten und zu Mönchen, Missionaren und Bischöfen avancierten, die ersten Ueberarbeitungen der keltischen Sagen und Legenden zustande. Soweit sogut, denn von den "neuen Mönchen" hätte man durchaus erwarten können, daß sie ihrer historischen und mythischen Vergangenheit kundig waren und somit die Ueberarbeitungen der Mythen noch einigermassen unverfälscht erhalten bleiben würde. In einzelnen Fällen wäre allerdings ein "mehr oder weniger" noch untertrieben.

Britannien

Für Britannien gilt, dass spätestens seit Nennius (Historia Brittonum 9.Jh.) und wohl auch Gildas (der einigen Stimmen nach entweder mit Nennius zusammengearbeitet oder amselben Werk mitgearbeitet haben soll) die Ueberlieferungen in ihrer getreuen Wiedergabe unterschiedlich stark christlich eingefärbt worden sind. Die dem Nennius zugeschriebenen Arbeiten (offenbar ein recht wirres und kunstloses lateinisches Werk, das er anscheinend auch nicht selbst verfasst, sondern nur zusammengestellt haben soll) berichten von Brutus, oder Britto, können sich aber nicht auf früher niedergeschriebene Zeugnisse berufen.
Da aus der wirklichen Besiedlungsgeschichte Britanniens kaum kohärente Daten vorhanden sind, möglicherweise aber auch im Zuge derChristianisierung auf bedauerliche Weise abhanden gekommen waren, war man solchen „Fakten“ natürlich sehr zugeneigt, besonders da sie eine römisch-biblische Verwandschaft aufzeigten. Aufbauend auf dieser Tradition, kamen die fantasiereichen und zu einem grossen Teil erfundenen „historischen Abläufe“ des Geoffrey of Monmouth wie ein Segen.
War die Brutus-Saga schon mehr Literatur als wahres und tatsächlich überliefertes Volksgut, einmal abgesehen von seinem historischen 0-Wert (sozusagen eine Weiterführung der Ahnentheorie der Trojaner über Rom hinweg nach Britannien), so lieferte Geoffrey of Monmouth eine substantielle, großartige nationale Geschichte von Britanniens literarischen Dynastien. Zudem konnte er das Brutus-Thema (aus dem die Waliser und die Korner laut Brutus-Saga hervorgingen) als schon vorliegendes Einstiegsmaterial quasi unverfälscht übernehmen. Die Arbeiten der zwei Autoren Nennius und von Monmouth entbehrten jedoch in den meisten Schilderungen jeder wirklichen Grundlage.

Geoffrey of Monmouths britische Königsdynastien zeichnen sich durch viel Fantasie und eine nicht zu leugnende Vaterlandsliebe aus. Er wollte seiner Heimat das geben, was es offenbar bis dato nicht besaß: eine Geschichte, die einem chronologischen Ablauf hatte und darin von Königen und Herrschern, von Dynastien und Helden Zeugnis ablegte. Daß er dabei Anleihen in Europas Mythologie und Geschichte und hauptsächlich den walisischen Mythen und ihren Herrscherdynastien machte, daß er Namen latinisierte oder umänderte, daß er mehr oder weniger belegte Daten rück- oder vorwärts plazierte und historisch "neu belegte", dass er Volksstämme mit Namen anderer Clans bezeichnete (unabhängig davon, ob sie überhaupt in jener Gegend gelebt und zu welcher Zeit sie dort gelebt hatten) spielte keine Rolle. Geoffreys historische Höhenflüge waren durchdacht und schienen plausibel, zumindest hatten sie eine bis dato noch nicht vorliegende Chronololgie und eine Fülle an Personen nebst Abstammungen und Verbindungen aufzuweisen , auch wenn diese zum Teil gänzlich erfunden oder anderen Dynastien vom Festland nachempfunden, bzw. abgekupfert waren. Jedenfalls galt Goeffrey of Monmouths „britannische Geschichte der Königshäuser“ bis weit ins späte Mittelalter hinein und noch darüber hinaus als bare und wahrhaftige britische Geschichte. Da er sie laut eigenem Zeugnis aus alten britannischen Aufzeichnungen herhabe, diese Schriften aber nicht mehr auffindbar sind, darf man diesem geheimnisvolen Basiswerk denselben Wert zugestehen wie den Epen Homers: einen mythologischen.
Geoffrey Ashe: „Oft lässt sich (bei von Monmouth A.d.V.) nur schwer ermitteln, wie die früheren Versionen aussahen, oder was sie besagten; er hatte sie aber vorliegen und bediente sich ihrer.(?) Es kann aber keine Rede davon sein, daß aus den unverantwortlichen Phantasien eines einzigen Autors eine Mythologie geschmiedet worden wäre, auch wenn man immer wieder
auf diesen Autor stösst.?"

Schottland

Aus Schottland nur ein Aspekt, der u.a die vonMonmouthsche Historienerzählung illustrieren soll. Während der Blütezeit der Brutus-Saga wurde Schottland „Albany“ genannt, eine Anlehnung an „Albion“ und war wiederum laut der Brutusgeschichte unter der Hoheit seiner Erben und völlig unabhängig - von den Schotten beherrscht und mit den Pikten als stimmloser Beigabe.

Als irische Anleihe taucht der „grosse Stein“ auf, der Dalriada (Albanys Königshaus in Scone) zum magischen Ort machte, wo die Könige ihr Erbe antraten, u.a. auch Bruce, der Freund-Feind des legendären Wallace.
Die Schotten behaupteten, daß dieser Stein jener vom Berg Tara in Irland sei, wohin er auf Umwegen aus dem heiligen Land gekommen war. Ueber andere Umwege habe Fergus, der Begründer von Dalriada, den Stein seinerzeit mit nach Schottland, genauer nach der Insel Iona gebracht. Kenneth macAlpine soll ihn anschließend nach Scone transportiert haben. (1296 ließ ihn Edward I. in Westminster in den Krönungsthron einbauen. Der feste Glaube der Schotten an einen eigenen britischen König wurde 1603 Wirklichkeit, als Jacob VI. aus den Haus Stuart unter dem Titel Jacob I. dann König von England wurde.) Dieser magische Stein soll derselbe gewesen sein, auf den schon der biblische Jakob zu ebenso biblischen Zeiten sein Haupt legte und von Gottes Versprechen auf ein Land für die Kinder Israels träumte. Der britische König Jacob I. salbte den Stein und nannte den Ort “das Haus des Herrn“.
Der Stein aus Scone ist laut geologischen Erkenntnisse nicht erwiesenermaßen jener vom Berg Tara und ergo Mitbringsel der Thuata Dé Danann, sondern stammt, da er aus altem, roten Sandstein besteht, womöglich aus einem Steinbruch in direkter Nähe von Scone.

2. Die Kinder Israels

Vorab eine Frage: in welcher verwandtschaftlichen Verbindung stand der legendäre König Lear (Leir) zu dem Aeneas, welcher der literarische Vorreiter für die Brutus-Sage war und laut der fast alle britischen Könige alt-biblische Verwandten hätten ? Nun, einfacher und einleuchtender kann es nicht sein:

"Der eine dieser berühmten Persönlichkeiten war der Ururururururururururenkel des anderen“. (Geoffrey Ashe, der es in seinen Arbeiten nicht an Sarkasmus mangeln lässt)

Wahrscheinlich um der Harmonie mit der Bibel willen und in einigen anderen Fällen erwiesenermaßen im Auftrag der Papstkirche, griffen die Altertumsforscher der Tudorzeit einen gewissen Japeth auf, der - wie jene Forscher (einige nennen sie unverhohlen Fälscher) aus der Heiligen Schrift herauslasen - der Ahnherr aller guten europäischen Menschen nach der biblischen Sintflut geworden sei. Die in der Mythologie Europas allgegenwärtigen Riesen waren hingegen Nachkommen Hams, Noahs in Sachen Erziehung verfehltem Sohn und sie seien aus Afrika (offenbar auch ein minderwertiges Land ? ), wohin ihr Stammvater Ham gewandert war, als mißratene Wesen nach Europa gekommen.
Der Hauptverantwortliche dieser Abstammungslehre war John Bale, der sein diesbezügliches Werk 1548 veröffentlichte. Offenbar war er aber einer, von einem gewissen Annius von Viterbo im Jahre 1498 veröffentlichten Geschichte um einen „unbekannten“ Sohn Japeths namens Samothes auf den Leim gegangen, oder er hatte womöglich den Auftrag Viterbos Geschichte weiter zu führen.

Der Stamm jenes Samothes, die Samotheer,(ein erfundener der verlorenen Stämme Israels) sind nicht in der biblischen Genealogie erwähnt. Hängen blieb jedoch Japeth, der als Stammvater aller Briten und Iren (und restlichen Europäer) in die Menschheitsgeschichte der Tudor-Humanisten und darüber hinaus in die Genealogie der British-Isreal-Theorie einging.
Geoffrey Ashe nennt die Theorie von British-Israel: „ … der bedeutendste moderne Mythos im Stil älterer Mythen. Es handelt sich um Spekulationen, die aus der Geschichte des alten Isreal abgeleitet sind, Gottes auserwähltem Volk“.


Über Jakob, Moses, David und Salomon bis hin zu den Stämmen von Judah, Benjamin und den Leviten führt die Linie der Abstammung aller Europäer, die letztendlich aus dem Melting-Pot, dem Königreich Judah (Hauptstadt Jerusalem) herstammen sollen. In biblischen Zeiten folgten in dieser Region Deportationen und Fluchtwanderungen dicht aufeinander. Man redet von einer nördlichen und einer südlichen Deportationswelle, aus der die Menschen der Südlichen überlebten; die Juden, die weiterhin einen Teil von dem damaligen Israel ausmachten. Die nördlich Verschleppten gingen als „die verlorenen Stämme“ in die Geschichte ein. Wo aber waren sie geblieben, wo doch Gott selbst versprochen hatte, alle zwölf Stämme zu retten ?


Entsprechend einem durch Hesekiel übermittelten Wort Gottes ( Hesekiel 37,21-24) würden und mussten die verlorenen Stämme noch existieren. Es galt bloß, sie wiederzufinden und zu identifizieren. Zur Belegung dieses Zweckerfolges mussten u.a. sogar die Japaner und die alten mittelamerikanischen Stämme und Völker herhalten. Weiterhin heißt es, daß mehrere Wellen der Nachkommen jener elf vermissten Stämme auch in Britannien und Irland eingewandert seien. Diese Theorie wird von den Anhängern der British-Israel-Theorie unterstützt und war während der Zeit des „British Empire“ eine fest geglaubte Ansicht.
Laut den apokryphen Aufzeichnungen im 2. Buch Esdras zogen die“ nördlichen Kinder Isreaels“ nach „Arzareth“, was soviel wie „in ein anderes Land“ heißt. Die Anhänger der British-Israel-Theorie ihrerseits aber “lokalisierten“ dieses Land nördlich des Schwarzen Meeres, wo seinerzeit die Kimmerer gelebt hatten, ehe sie von den Skythen verdrängt wurden. Aus einem bislang noch undefinierten Begriff „Omri“ steltle man eine linguistisch verfremdete Verbindung zu „Khumri“ und dann zu den Kimmerern her und identifizierten sie kurzerhand als Kymry(Cymry), was soviel bedeutend würde, als seien die Waliser (die sich selbst Kymry > Bürger ihres Landes, Einheimische, Landsleute usw nannten, ein Begriff der erst zu Zeiten des legendären Artus auftauchte) mehr oder weniger direkte Nachkommen der verlorenen elf Stämme Israels, ergo jener Menschen, die in grauen Vorzeiten als Nachkommen Japeths Britannien und Irland besiedelt haben sollen. (in Britannien Brutus, in Irland Cesair, die Nemedier und die Partholonen usw, sogar die Milesier).
Die Theorien der British-Israel-Anhänger waren Mitte der Dreißiger des vorigen Jh. hoch im Kurs, zumal sich ja auch England als Kolonialherr im heiligen Land und als großer Initiator eines neuen Israel hervortat. Noch heute hat die British-Israel-Theorie treue und fervente Anhänger. Allerdings ist der Kredit ihrer Behauptungen um ein Beträchtliches gesunken. Die Mythen freilich stehen und wie es sich mit Mythen verhält, das wissen wir. Sie werden weitergereicht, verballhornt, erweitert, verfälscht und weitergereicht…. Zurück bleibt ein Sammelsurium an Erträumtem, Gewünschtem, Gelebtem, Erhofftem und Erfundenem - Mythen halt. Wem aber dienen solche gefälschten und verfälschten Geschichtsreportagen ?



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Anm.d.A.:
Aus einer Bemerkung des Pariser Druckers und Herausgebers Migné (dessen Druckerei und Sammlung mysteriöserweise und Gerüchten nach, durch die geballte Kraft von weltweit vereinten Magiern 1861 in Flammen aufging) in seinem "Dictionnaire des Sciences Occultes" bezüglich der Chaldäer, ergibt sich eine interessante Spekulation, die freilich kaum noch wird belegt werden können, nichtsdestoweniger aber einige Aufmerksamkeit verdient.

Man darf sich fragen, warum die Vertreter der British Israel Theorie sich nicht an eine Bemerkung von Migné geklammert haben. Sie hätte ausnehmend gut in die Theorie der Abstammung der Bewohner der britischen Inseln von Noah, bzw. der direkten nachsintflutlichen Menschen hineingepasst.
Als laut Migné zirka 1500 vuZ - anschliessend an die Sintflut - im Zweistromland nahe dem Euphrat der Bau des Turmes von Babel und mit ihm - wie es gelegentlich heisst - die artikulierende Sprache begann, habe sie mit einem Wort begonnen: dem Wort Sac (Saccus), was übersetzt soviel wie Sack, Beutel oder Behältnis heißt. Jeder der damaligen Bauarbeiter habe dieses eine Behältnis bei sich getragen und darin seine persönlichen Besitztümer aufbewahrt (Nahrung, kleine Münzen, Amulette usw.) Bringt man diesen Begriff, oder dieses erste gemeinsam bekannte, gesprochene Wort in Zusammenhang mit den im vorkeltischen Irland eingewanderten Firbolg (Beutelmenschen), wundert man sich, dass die British Israel Theorie nicht auf dieses Indiz zurückgreift. Die Firbolg sollen - einmal von der möglichen belgischen Herkunft abgesehen - gemäß der Überlieferung aus Griechenland gekommen sein, wo sie als Fronarbeiter Bauarbeiten geleistet haben sollen und in den ihnen typischen Beuteln (Säcken) Steine transportiert haben.

Das Datum ihrer Ankunft in Irland verschwimmt wie viele Zeitangaben im Nebel der Antike. Als Sackträger oder Beutelträger aus Griechenland - zu dem in gewisser Weise auch Ägypten (auf das persische Regime folgte das griechische) gezählt werden könnte, und in direkter Nähe zu Babylon und den Chaldäern, sozusagen im Anschluss an die Sintflut, könnten die Firbolg (mit der weitschweifigen Phantasie der British Israel Theoretiker) durchaus als ehemalige Bauarbeiter des Turmes von Babel durchgehen.

Somit wäre eine weitere spekulative Beweisführung erbracht, um die Keltenabstammung der biblischen Familie anzugliedern. Gleichzeitig hätte man auch eine Erklärung für die Handelsbeziehungen der Firbolg mit Ländern oder Stadtstaaten aus der östlichen Mittelmeerregion.
Bringt man die babylonischen Sackträger jedoch einmal ohne Anspielung auf die Sintflut in Bezug zu den Firbolg, so dürfte diese Spekulation mindestens so haltbar sein, wie jene der British Israel Theorie.



3. Verschwundene Quellen

Erfundene oder beigefügte Geschichte wird auch noch gerne als „Literatur“ bezeichnet: als literarische Fälschungen im Auftrag von Interessengruppen oder gar in Einzelfällen aus Lust am Fabulieren oder um persönlichen literarischen Ruhm zu erlangen. Vom britannischen Blickwinkel her betrachtet, wissen wir, daß der Vater der Britannischen Geschichte Goeffrey of Monmouth heißt (12.Jh.) oder früher noch die Nennius und Gildas (5-9 Jh.). Von ihnen wird behauptet, daß sie - sei es nun unwissentlich und im guten Glauben, im Auftrag oder aus eigenem Antrieb - Geschichte erfunden, gefälscht oder Dokumente oder Abschriften falsch übersetzt und in Unkenntnis der kulturellen und historischen Hintergründe falsch interpretiert und ggf. modifiziert hätten. Desgleichen wird über Schriften und Quellen über die Kelten allgemein, sowie über die Germanen, Skythen und Goten behauptet, die - aus politischen und kulturellen Gründen - als tumbe Barbaren, saufende, prügelnde und mordende Wilde in die Geschichte eingehen sollten, zum Ruhme der zivilisierteren Völker der Mittelmeerregion und zur Glorie der Heiligen Mutter Kirche.
Diese bewußten Fälschungen wurden schon früh aufgedeckt und publik gemacht (Jean Hardouin 1693 - Robert Baldauf 1902 ? Wilhelm Kammeier 1935) können aber keinen sonderlich nachhaltigen Einfluss auf die Geschichte und die Historienschreiber gehabt haben, denn in den Schulen gibt es noch immer denselben alten vorgekauten und saftlosen Stoff.
Entsprechend den Darstellungen genannter Autoren (Zitat Hans-Joachim Zillmer) „wurde die Geschichte Europas von der katholischen Kirche(Papsttum) und den Humanisten im Mittelalter frei erfunden, soweit sie auf angeblich antiken Schriftquellen fußt".

Mit antiken Quellen wartete auch von Monmouth auf, allein, sie sind nicht mehr auffindbar, genau so wenig, wie die dubiosen Quellen und ethymologischen Konstrukte der Anhänger der British-Israel-Theorie und eine Unmenge von Archivmaterial des Vatikans vor 1200 n.u.Z.
Das allseits bekannte und oft zitierte Werk des Tacitus Germania (zirka 100 n.u.Z.) wurde zum Teil als Fälschung entlarvt, da es nicht einheitlich von Tacitus stammt, sondern im Auftrag des päpstlichen Sekretärs Poggio Bracciolini erst Anfang des 15. Jh. , sinnigerweise nach dem Konzil von Konstanz(1414-18) - auf dem die zerissene Papstkirche sich ein neues Gewand anlegte - „fertiggestellt“ wurde. Das ursprüngliche Pergament samt Abschrift wurden oder blieben unauffindbar. Allerdings wurde die Abschrift 1470 noch einmal gedruckt ?!
Gaius Plinius Secundus (1.Jh.n.u.Z.) soll sehr viel über die Germanen geschrieben haben. Wo sind seine Werke oder Fragmente daraus ? Von des Römers Livius (1.-2 Jh.) offenbar 142 Historienbüchern über die Römer sind nur einige wenige erhalten. Ein weiteres Werk von ihm über Gemanien ist offenbar definitiv verschwunden. Caesars, Herodots, Poseidinios und Strabos Werken stehen keine Vergleichswerke zur Verfügung und werden als philologische Basisquellen benutzt, genau wie die Germania , die nicht integral von Tacitus stammt, der zudem seine Erkenntnisse nicht vor Ort sammelte, sondern sie selbst schon aus zweiter und dritter Hand gehabt haben soll.
Liest man sich durch die „Keltenliteratur“ der letzten fünf Jahrzehnte, so stellt man fest, daß mit sehr wenigen Ausnahmen sich alle Autoren auf Caesar, Herodot und Strabo, Poseidinos und andere Schreiber berufen, sich endlos wiederholen, nicht mit Zitaten von prominenteren Autoren geizen und wenig an eigenen Recherchen zu bieten haben. Namen wie u.a. Markale, Ashe und Fleurin bestechen hingegen durch Forschungsarbeit, eigenständigen Gedankengängen und Schlußfolgerungen, die nicht immer sehr populär, sprich nicht immer konform mit der Schulgeschichte gehen. Auch sie zitieren u.a. Caesar, nicht aber ohne zu hinterfragen, ob jener nun tatsächlich der geistige Vater seiner „Gallischen Kriege“ ist, oder ob er sich - aus profilneurotischen, politischen oder strategischen Motivationen heraus - nicht auch dies oder das schon in „anderen Quellen“ holte, seiner Vorstellung nach schönfärbte oder aus politisch-taktischen Gründen einfach erfand; aus Quellen schöpfte, von denen dann wiederum einige oder mehrere nicht mehr auffindbar sind. Dieselben Quellen, die evtl. auch Herodot, Strabo und Tacitus benutzten ? War Herodot der große Reisende, als der er beschrieben wird, oder holte er sich - was er in einigen Fällen sogar selbst bestätigt - seine Informationen auch aus zweiter Hand ? Ließ er sich - wie in Ägypten - nicht auch anderswo mythologische Bären aufbinden, die er im guten Glauben weiterreichte und die wir heute mangels besserem Wissen und mit einer gutgläubigen und begeisterten Kritiklosigkeit als bare Münze handeln?
Wie „historisch“ sind die Quellen, aus der unsere Geschichte erstellt wurde. Waren es „bedauerliche Zufälle“ (H-J. Zillmers Sarkasmus), wenn derartige Quellen oder Basiswerke plötzlich unauffindbar werden oder einfach spurlos verschwinden ? Er zitiert Kammeier, nach dem verschiedene Quellen offenbar vernichtet werden mussten, „um nicht die kulturellen Faseleien …. als das erkennen zu lassen, was sie sind, nämlich Phantasieschilderungen der spätmittelalterlichen Fälscherzunft“
Zieht man hierzu die Theorien der Sintflut aus den Arbeiten der Historiker der Tudorzeit hinzu (die in der British-Israel-Theorie mündeten), dann darf man schon mit anderen Forschern und Kritikern an der Authentizität unserer Geschichtsschreibung zweifeln.



Die historische Datierungspraxis begann eigentlich erst im Spätmittelalter und es wäre müßig die Daten davor kritiklos als genau und kohärent zu bezeichnen. Die Daten vor 1000 n.u.Z. sind meist fiktiv, geschätzt, angepaßt oder frei erstellt. Sie werden nicht umsonst in den meisten Fällen mit „zirka“ ergänzt. Jahrhunderte sind dehnbar und bezieht man den Mythos in die vage Historie von damals mit ein, werden sie schlicht zu wackligen Zeithinweisen mit manchmal nicht einmal annäherndem Charakter. Genau Daten gibt es vor 1000 sozusagen keine. Sogar die römischen Daten sind flexibel und nicht selten aus dem Empire zuträglichen Gründen „nachgerüstet“. Überhaupt ist das Thema Rom und Römer ein mehrschneidiges Schwert, das in einem bislang unbekannten Ausmaß mit den Verdiensten und Errungenschaften anderer Kulturen und Völker geschliffen wurde.
Zeit ist dehnbar und man kann sie kürzen. So machte Mitte der 90er des vorigen Jh. die Behauptung eines gewissen Heribert Illig die Runde, daß die Kirche insgesamt 300 Jahre europäisch-mittelalterliche Geschichte schlichtweg erfunden habe: der Zeitraum zwischen dem 7. und dem 10. Jh. Nach Illig, eine Zeit ohne nominelle geschichtlichen Abläufe, dunkle Jahrhunderte mit vagen Schilderungen. Eine Zeit in der die Papstkirche, die Heinrichskönige und die großen Karls für genügend Verwirrung sorgten, um - entsprechend Illig - offensichtliche Leeren zu füllen. Entsprechend Illig dürfte es die bedauerlicherweise verschwundenen Archive des Vatikans (der zu dieser Zeit noch nicht existierte) ergo gar nicht gegeben haben, zumindest nicht aus Jahrhunderten der Papstgeschichte, die es auch nie gegeben haben kann, weil die Zeit schlichtweg erfunden und aufgepfrofpt wurde. Ist so etwas möglich ? Wie wir aus anderen Beispielen wissen, so ist es zumindest teilweise schon (Fälscher)Geschichte.

Die Überprüfung von Illigs Behauptungen folgte alsbald. Es stellte sich jedoch heraus, daß aufgrund der Krojerschen Rückberechnung anhand von Sonnen- und Mondfinsternissen (2001) keine überzeugende Für- oder Gegenposition erstellt werden konnten. Die Befürworter der Illig-Theorie warfen zudem ins Gewicht, dass sich z.B. solche von Krojer verwendete Datierungskontrollen nicht eignen um die Illig-Theorie zu widerlegen. Solche Datierungen seien zwangsläufig ungenau und unstimmig, da ihnen verschiedene Kalendersysteme zugrunde lägen, die erst sehr spät im 2. Jt. auf eine gemeinsame und berechenbare Linie gebracht worden seien, einmal von den zwischenzeitlich an ihnen verbesserten oder ergänzten Details abgesehen.
Natürlich könnte man jetzt von verschwörerischen Hintermännern oder Gruppierungen, von einer Papstkirche reden, die selbstherrlich Geschichte erfindet um ihre Position über Jahrhunderte hinaus zu festigen. Wenn solche Behauptungen sich als Tatsachen erweisen sollten, täten wir gut daran die Menschheitsgeschichte ab heute neu und ehrlich zu beginnen.

Erhärtet wird eine solche Theorie besonders noch dadurch, daß offenbar mit dem Einfall der Nordmänner in Europa nach 1000 unzählige Dokumente und ganze Bibliotheken aus der Zeit vor der Jahrtausendwende den Weg des Rauches gingen oder anderswie zerstört wurden. Waren es wirklich die Normannen, die zu der Zeit im Mittelmeerraum eines der einflußreichsten Völker darstellten, oder waren es Schergen der Papstkirche, die schlicht lästiges und nicht mehr passendes Material aus der Schußlinie etlicher Kritiker zogen ? Keine Spuren, keine Zeugnisse. Oder bedauernswürdige Zufälle?

Und wenn es diese Zeit - gemäss Illig - nun wirklich nicht gegeben hat, ergo auch keine Dokumente aus jenen Tagen vorhanden sind, oder nur solche, die im Nachhinein genau wie die Zeitspanne bloß erfunden wurden um sie zu belegen?
Man kann es drehen wie man es will, nur eines scheint klar zu sein. Die Datierung vor der Jahrtausendwende ist unzuverlässig und die zeitlichen Zusammenhänge sehr oft inkohärent. Die Datierung aus jenen Zeiten beruht zum Teil auf Rückrechnungen, vagen Schätzungen und überlieferten, oft widersprüchlichen Daten, die zudem noch von den Mythen stark beeinflusst wurden. Beispiele sind u.a. die zeitliche Festlegung und Identifizierung der legendären Figur des Artus und möglicherweise auch die Festlegung, bzw. Identifizierung der nicht minder legendären Gestalt Karls des Grossen. Vieles wurde verschönert und historisch angepasst, ergo ge- und verfälscht, einiges, wie wir mittlerweile wissen, auch einfach erfunden, nichtsdestoweniger aber als stimmige Historie zusammengeflickt und dem Volke gereicht.

Die Völker und ihre Bezeichnungen Kelten, Germanen, Skythen, Inder und Lybier, die nach griechischem Muster die antiken barbarischen Urvölker darstellten und die Epochen in denen sie lebten, sind weitere historische Gummibänder, die beliebig dehnbar scheinen. Abgesehen davon, daß die Betroffenen lange vor den mediterraneanen Völkern eine handfeste und blühende Kultur entwickelt hatten und entsprechende Kunst und Handwerkskenntnisse besaßen, (zudem die ihnen verliehenen Namensgebungen gar nicht kannten, geschweige denn selbst anwendeten) wurden einige von ihnen schon damals von Griechen in Namengebungen zusammengeführt, so z.B. die Keltoskythen. Aus östlichen Skythenclans wurden westliche Vandalen und alles jenseits und unterhalb des Altai waren Inder.

Obwohl das Wort „Germane“ offenbar schon v.u.Z. in einer griechischen Schrift vermerkt ist, so war es im weiteren Europa gänzlich unbekannt, bis es 1650 erstmals in Abhandlungen auftauchte. Herodot bezeichnete die Germanier als Perserstämme.

Doch wer waren die Griechen ? Sind die Dorier und die eingewanderten Skythen die eigentlichen Griechen, deren Schriftzüge denen der Phoeniker, der Etrusker und der Dorier ziemlich ähnlich sind ? Oder waren es die Mikener, die auch aus dem Norden kamen und offenbar schon „griechisch“ sprachen ? Strabo fragt, ob es möglicherweise die Phrygier und Skythen waren, die sich im geographischen Raum Griechenland zusammenfanden und aus deren Sprachgemisch die griechische Sprache entstand. Waren die Dorier auch Indogermanen oder Indoeuropäer ? Woher stammen die Kreter, die erwiesenermaßen weder indogermanischer, indoeuropäischer noch semitischer Abstammung sind, mit Sicherheit aber auch keine Lybier. Waren die Etrusker die richtigen Thyreer oder ungekehrt ?

Ackert man sich ansatzweise durch aktuelle historische Abhandlungen und Referate, so verliert man sich allzu schnell in den Spiegelgefechten der Schreiber, die sich wie Pfennigfuchser auf ein Datum fixieren und Ethnien bezeichnen, Völker deplazieren und Kulturen vermischen, den Leser aber nachher genauso konfus wie vorher und um einiges frustrierter entlassen. Das ist zwar keine Fälschung, man könnte es aber in einigen flaggranten Fällen als Nonsensgeschichtsschreibung um der eigenen Profilneurose wegen nennen.
Wer sind die Menschen eigentlich, die heute unter dem weitreichenden und kaum noch genau definierbaren Begriff „Indogermanen, Indoeuropäer usw.“ in der Geschichte weitergereicht werden ?
Was die Kelten, Germanen und Skythen anbelangt, berufen sich bis heute noch viele unkritisch auf ein ziemlich konfuses Gemisch an „ungesicherten Tatsachen“, vagen Deutungen, komplizierten und komplexen Wanderungen, die nach archäologischen Funden geordnet werden, mythischen Überlieferungen, in denen man historische Aspekte entdecken will und recht wenig bis gar keinen streng belegten Daten. Betrachtet man die Quellen, die nunmehr auch bezüglich ihrer Authentizität stark angezweifelt werden, bleibt uns herzlich wenig um eine einigermaßen kohärente historische Reportage über die sogenannten Kelten zu erstellen, die sich offenbar zwischen Irland und dem Balkan heimisch fühlten, aber nie eine Einheit zustande brachten. Oder will man uns das bloß weismachen ?
In Festlandeuropa fällt die Abstammungsbestimmung besonders schwer, zumal sich dieser Erdteil als „Meltingpot par excellence“ erweist, in dem sich fast alles menschlich-kulturelle des Orients und des Okzydenz zusammenfand und in dem man nicht so ohne weiteres, was die Abstammungen und Vermischung von Kelten, Germanen, Goten, Galliern, Gallatern, Doriern, Skythen, Griechen, Etrusker, Lombarden, Normannen und Römern anbelangt, unterscheiden kann. Nur, einige waren früher da als die anderen und das waren vielleicht jene, die den Namen Kelten oder Protokelten erhielten. Wenn nicht sie, dann diejenigen, die vor ihnen da waren. Aber wer ?

4. Im Namen der Kirche

Immer wieder wird betont, dass die Inselkelten keinerlei schriftliche Aufzeichnungen, einmal von den wenigen erhaltenen Oghamzeugnissen abgesehen, hinterlassen hätten und die keltisch-heidnische Religion, bzw. der druidische Glaube rückt in mystische und mythische Bereiche. Was wir von den Iren , Walisern und Schotten/Pikten wissen, haben wir aus Überlieferungen, deren Wahrheits- und Echtheitsgehalte allein schon durch die Praxis der Abschrift von Abschriften mündlich weiter gereichter Erzählungen arg gebeutelt wurden.
Nun heißt es gelegentlich, daß auf der Insel Iona sich eine regelrechte Bibliothek befunden habe, die aber leider der Zerstörung durch marodierende Söldner während der römischen Okkupationszeit mutwillig zerstört worden sei.
Waren diese Söldner - man mag mir diese Spekulation nachsehen - vielleicht Soldaten der römischen Besatzer, oder gar missionierende Mönche, die im Auftrag handelten, schriftliche keltische Aufzeichnungen zu vernichten ? Aber zu welchem Zweck und zu wessen Vorteil ?
Die keltischen Heiden und insbesondere die Iren, die ohne große Schwierigkeiten von ihrer heidnischen zu der (arianischen) iro-schottischen Weltanschauung wechselten, wurden dadurch wohl zu Christen, nicht aber zu Katholiken im Sinne und nach der Vorstellung der Papstkirche. Dieser war es nicht gelungen, die Entwicklung des heidnisch-christlichen Glaubens (Mönchskirche oder iro-schottische Kirche) nicht nur auf den Inseln, sondern in weiten Teilen des keltischen, germanischen und gotischen Europas zu kontrollieren.
Die römische Kirche, die im 1. Jt. n.u.Z. noch faktisch inexistent war und allenfalls als konkurierender westlicher Ableger des byzantinischen Obersten zu betrachten ist, hatte alle Mühe, das europaweit „grassierende“ neue und naturverbundene Christentum - sozusagen ein Spiegelbild des Urmutterglaubens, aber mit christlicher Prägung - einigermaßen glaubhaft in den katholischen Schoß des Papsttums heim zu führen. Da die friedliche Missionierung keinen Anschluß bewirkte, mußten andere Methoden her. Also mußten die Quellen und die schriftlichen Beweisstücke jenes „Aberglaubens“ entweder neutralisiert (eingesammelt und gehortet, später dann passend „als überarbeitete Abschriften“ wieder freigegeben) oder vernichtet werden. Diese Praxis wandte die Kirche seit jeher mehr oder weniger erfolgreich in ihrem Herrschaftsbereich, bzw. Einfallgebiet bei allen anderen, nicht dem Papsttum ergebenen Kulturvölkern an. Bis zum 3. Jh. n.u.Z wurde beispielsweise die Runenschrift als älteste schriftliche Ausdrucksform der germanischsprachigen Stämme benutzt. Sie mußte der lateinischen Schrift Platz machen: zwangsweise und/oder zwangsläufig ? Noch bis vor Kurzem wurd allgemein angenommen, daß es außer auf Stein, Holz und in Metall geritzten Runen, keine anderen - z.B. auf Papiermaterial festgehaltenen - Runenzeichen gab. Wenn keine solche Dokumente gefunden wurden, heißt das aber nicht de facto, daß es solche Schriftstücke nie gegeben hat. Möglicherweise wurden diese Schriftstücke aber wie viele andere Dokumente gleicher und ähnlicher Art europaweit von fleißigen katholischen Händen eingesammelt oder vernichtet. Einige kaum erodierte oder verrottete Zeugnisse blieben aber erhalten und entgingen dem Literaturprogrom des Papsttums.
In Irland, dem Land „ohne schriftliche Zeugnisse von vor der Zeit der Christianisierung“, gab es offenbar doch Bücher und Bibliotheken schon in heidnischen Zeiten, obwohl vom Papsttum und den Römern die „Barbaren“ zu allen Zeiten als schreibunkundige Wilde hingestellt wurden.
Um 1400 herum stellte Giolla Iosa Mor macFirbis das Gelbe Buch von Lecan (Leabhar Buidhe Lecain) zusammen. Neben sehr frühen Texten ist in dieser Anthologie ebenfalls eine politische Abhandlung über die Verfassung der irischen Königreiche enthalten (Leabhar na gCeart). Aufgrund dieses Werkes sollen 180 von Druiden verfaßte Bücher vom hl. Patrick persönlich „in einem Anflug von missionarischem Übereifer“ verbrannt worden sein. Dem mag so gewesen sein und es wäre auch glaubhaft, wären da nicht die anderen europaweit durchgeführten Schrift- und Buchvernichtungen gewesen. Sind die auch lediglich von paranoiden oder schizophrenen Missionaren „im Eifer des Gefechtes“ bedauerlicherweise vernichtet worden ? Oder steckte System dahinter ?
Der Autor macFirbis führt weiter aus, daß die Konvertiten in Irland systematisch überall Zeugnisse des druidischen „Aberglaubens“ vernichteten, bis offenbar nichts mehr übrig war, das der Nachwelt irgend einen Aufschluß über das wirkliche druidische Wesen hätte geben können.
Noch während dem ersten Kreuzzug waren diese Methoden System, als die Juden „im Laufe der Reise nach dem heiligen Land“ zu tausenden geschlachtet wurden. Sogar noch 1509, als das kaiserliche Privileg den Johannes Pfefferkorn ermächtigte, alle jüdischen Bücher und Schriften außer der Bibel zu vernichten. Was hätten die jüdischen Texte verraten können, außer dem Beweis, daß die Entfaltung und Verbreitung des Christentums nicht so vonstatten gegangen war, wie es das Papsttum behauptete ? Doch nicht nur die glaubensbezogenen Bücher und Schriften wurden vernichtet, sondern auch die Literatur. Welchen Sinn ergab das, wenn nicht den, dadurch andere historischen Tatsachen als die des Papsttums, solche, die möglicherweise über die Kultur und Entwicklung z.B. in der Levante oder dem Zweistromland Aufklärung gebracht hätten, aus der Welt zu schaffen.
„Nimm dem Volk seine Literatur, und du nimmst ihm einen Teil seiner Seele“, ich weiß nicht mehr, woher ich diesen Spruch kenne.
Während die Juden noch während Jahrhunderten verfolgt und systematisch dezimiert wurden, haben die keltischen und germanischen Ur-Christen keine Märtyrer zu beklagen. Ihre Version des Christentums hatte inzwischen in fast ganz Europa Verbreitung gefunden, nicht als Katholizismus, sondern als eine urchristlich-heidnische Weltanschauung mit matriarchalischen Grundzügen. Die Heimführung der Heiden in den Schoß des Papsttums durch Konstantin und die wundersame Bekehrung der keltischen Heiden war vergleichbar einem Schuß, der nach hinten los gegangen war. Das Papsttum hatte sich unversehens ein zweites Christentum neben dem ihrigen herangezogen, einmal von der mächtigen byzantinischen Obrigkeit abgesehen.

Und überhaupt: gab es – so darf man fragen – vor 1200 überhaupt eine römisch-katholische Kirche ? Aus der Zeit davor fehlen vormals klassifizierte und geordnete Dokumente plötzlich. Sie blieben unauffindbar. Die Archive der Papstkirche sind erst ab 1200 wieder komplett und akkurat geordnet. Sind etwa auch die alten Dokumente der Kirche den „wütenden Normannen“ unter die Finger gekommen, oder fand während der Amtszeit von Innozenz III. eine klammheimliche, totale Neustrukturierung statt ? Oder war es erst der echte Anfang ? Hat es vorher keine strukturierte okzidentale Kirche gegeben, sondern lediglich ein kleines, aber umso agressiveres klerikales Machtgefüge?

Stimmt es, daß die katholische Kirche - nachdem die meisten „Hindernisse“ im eigenen Lager beseitigt waren - faktisch erst 1409 auf dem Konzil von Pisa gegründet wurde ? Jedenfalls war Rom bis zu diesem Zeitpunkt nicht die Stadt der Päpste gewesen. Wenn es eine Neuorientierung oder erst die Geburt überhaupt war, dann waren ihr schwere Wehen vorausgegangen. Innerhalb der okzidentalen Papstkirche entwickelte sich im Anschluß an die Zeit Innozenz III. eine Krise, die die kaum neu strukturierte Kirche gleich wieder an den Abgrund steuerte. Offenbar wurde das Gebaren der klerikalen Obrigkeit denen auf der weltlichen Herrscherbühne letzten Endes zum Störfaktor. Auf Geheiß der französischen Könige wurden die Päpste entmachtet. Sie mussten Rom Anfang 1300 verlassen und wurden von 1309 bis 1376 offiziell nach Avignon verbannt, von wo aus offenbar der zweite Neubeginn geplant wurde. 1378 zogen die Avignoner wieder um nach Rom und die päpstliche Autorität erlebte zwischen 1378 und 1417 ihre tiefgreifenste Erschütterung. Zeitweise standen sich drei rivalisierende Päpste entgegen und die Kirchenspaltung des Abendlandes (das große abendländische Schisma) brachte den Fall.
Erst mit der hauptsächlich und erwiesenermaßen auf Dokumentenfälschungen beruhenden “Machtübernahme“ erlangte das Papsttum eine neue Basis um fortan mit noch härteren Bandagen ihre Position zu festigen. Auf dem Konstanzer Konzil (1414-18) leiteten Martin V. und Eugen IV. einen Prozess ein, der 1870 in dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes mündete. Zwischendurch hatte die Heilige Inquisition die Aufgabe, hinderliche Randerscheinungen zu beseitigen: sie wurde zum Instrument der Fortsetzung dessen, was schon 1500 Jahre zuvor begonnen hatte. Allein, jetzt waren es keine Schriften oder Bücher, die vernichtet werden sollten, sondern Häretiker, Ketzer am rechten Glauben. Das Großreinemachen der hl. Inquisition zog eine Blutspur durch das restliche Mittelalter bis in die Renaissance hinein.

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