Der Greif ist ein imposantes und respekteinflößendes Wesen, dessen Herkunft wahrscheinlich bis ins tiefste Altertum zurückreicht. Die ersten Greifdarstellungen stammen ursprünglich offenbar aus dem Orient.
Sie befinden sich an den Pforten von Persepolis und auf persischen und babylonischen Tapeten, dann auf Helmen, z. B. auf dem der Athene Parthenos des Pheidias, auf Brustharnischen, auch auf Münzen, z. B. auf denen von Opus, Teos, Abdera etc., und als Arabesken, besonders auf römischen Säulen, sowie als Akroterien auf Tempeln.
Die ältest bekannten Überlieferungen stammen allerdings aus der Region der Wüste Gobi, unweit der Heimat der halbmythologischen Hyperboräer, deren Gold die Greifen bewacht haben sollen.
Aristeas erzählte in seinem fragmentarisch erhaltenen Epos, der Hexameterdichtung Arimaspeia, daß in den Rhipäischen Bergen die dortigen Goldgruben der Hyperboräer von Greifen gegen die Raubüberfälle der Arimaspen bewacht werden.
Die Nomadenvölker aus dieser Region, u.a. die Skythen, mieden offenbar – wenn es nur möglich war - die Durchquerung der Wüste Gobi, ein Ödnis aus Salzpfannen und ausgetrockneten Seen, zerrissen von kargen und riffigen Gebirgszügen: ein Meer aus Sand und Karst. Es war aber nicht so sehr die abweisende Unwirtlichkeit der Natur, die sie ängstigte, sondern jenes furchterregende Ungeheuer, welches dort sehr zahlreich hauste – ein Ungetüm mit Adlerkopf, messerscharfen Krallen, Schwingen und dem Hinterleib eines Löwen: der Vogel Greif.
Durch archäologische Funde wissen wir heute, daß die Wüste Gobi ein riesiger Friedhof ist, eine einzige Schatzgrube an Fossilien, vergleichbar einem prähistorischen Schlachtfeld, auf dem sich riesige Ungeheuer bekämpften. Man geht davon aus, daß die Nomadenvölker von dieser Aussicht sehr eingeschüchtert waren und die Fama ihr übriges tat um die Sagen zu nähren.
Stellenweise erhebt sich mit majestätischer Positur aus dem Felsgestein ein erodiertes, wahrscheinlich stehend im Sandsturm zu Grunde gegangenes Tier - so, als bewache es noch heute das Gold der Ripäischen Berge.
Das Aussehen des Greifs wird allenthalben gleich dargestellt, bis auf kleine individuelle oder regionale Variationen. Sein Rumpf ähnelt dem eines Löwen und der Vorderleib samt Flügeln, Krallen und Kopf dem eines Adlers. Je nach Variation können aber auch die Hinterbeine von einem Adler und die Vorderbeine von einem Löwen vorkommen.
Diese machtvolle Kombination vereint im Greifenvogel sowohl den „Beherrscher der Lüfte“ (den Adler) als auch den „Beherrscher der Erde“ (den Löwen) zu einer Erscheinung, die seit jeher für Unbezwingbarkeit stand, ähnlich dem Drachen, das Sinnbild des Wächters.
In der Überlieferung hat der Greif auch im Ruhezustand einen warmen Körper, der sich beim aufsteigenden Flug immer mehr erhitzt, bis er förmlich glüht. Seine Vogelteile machen ihn zum schnellsten Flieger und seine Löwenteile zum stärksten Lastenträger, der im Fluge Kamele und Pferde reißen kann und sie zum Fraß seiner Jungen ins Nest fliegt. Er ist ein absoluter Fleischfresser und greift auch die Menschen an. Besonders gefährlich ist er, wenn er seiner Aufgabe als Wächter der Goldschätze nachkommt.
Seine Eier legt er in Höhlennester, deren Eingang so schmal ist, daß er selbst nur knapp hineinkommt und den Eingang somit auch leicht von innen her verteidigen kann. Geschützt vor dem erbarmlosen Sonnenlicht und den scharfen Winden brütet er seine Eier aus. Seine schlimmsten Feinde sind die Raubkatzen, besonders der Löwe, letzterer sein Erzfeind, der die Stärke des Greifs neidet.
In anderen Gegenden, u.a. auf pazifischen Inseln wird der Greif als riesiges Flugtier mit unglaublicher Schwingenweite und Raubkatzenkörper geschildert, der sogar imstande sei Elefanten zu reißen, allein mit seinen Krallen zu halten und im Flug über große Entfernungen zu transportieren. Sie nennen ihn „Rock“, weil er auf der Lauer jeweils auf Felsvorsprüngen hockt und nach Beute ausschaut. Entsprechend ihren Schilderungen erinnert er an den „Donnervogel“ der amerikanischen Indianer.
In der griechischen Mythologie erscheint er schon mehr oder weniger domestizierter Form. Aischylos läßt den Okeanos auf ihm reiten und ihn vor seinen Wagen spannen.
Bei den pontischen Hellenen und der Griechen galt der Greif als Symbol des Wächters mit den Eigenschaften der scharf blickenden Klugheit und des Sehertums, der geballten Kraft und Beweglichkeit. Der Greif ist u.a. ein Attribut des Apollon.
Noch bis ins späte Mittelalter glaubte man an die Existenz des Greifen und führte ihn wie auch die Drachen und das Einhorn in den Bestiarien und den Naturgeschichten des Tierreichs auf.
Des Weiteren fand er in der Ornamentik und Heraldik vielfache Verwendung und war auch in der dekorativen Plastik der Renaissance sehr beliebt.
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