So mächtig und respekteinflößend der Drache und der Greif dargestellt werden, so liebreizend und zerbrechlich wird das Einhorn geschildert – eines der sogenannten Fabelwesen, deren Herkunft so unbestimmt und dessen Geschichte so alt ist wie die der Menschheit.
In unseren Breiten, aber auch in den Überlieferungen aus Mittel- und Ostasien ist das Einhorn schon in sehr frühen Schriften dargestellt worden. Einige behaupten, es hätte seinen Ursprung in der frühen hellenischen Mythologie.
Seit jeher wurde es als Götterattribut überliefert. Artemis, die griechische Mond- und Jagdgöttin (römisch: Diana) hatte das Einhorn als Aspekt des Mondes.
Dargestellt wird das Einhorn mit einem schlanken wohlgeformten, schneeweißen Pferdekörper und einem, wie eine Kordel gedrehten, einen halben Meter langen, vorne spitz zulaufenden Horn (Alicorn) auf seiner Stirn. In leicht voneinander abweichenden Schilderungen trägt es eine lange Mähne und einen üppigen Schweif, der auch manchmal als Löwenschwanz mit Quaste dargestellt wird. Vereinzelt wird es auch mit einem Ziegenbart, mit einer Löwenmähne und gespaltenen Hufen (Paarhufer > Antilope) dargestellt. Die Attribute des Löwen mögen von seiner überlieferten Rolle herstammen, die ihm und dem Löwen die Herrschaft über die Tierwelt zusprach. Von afrikanischen Einhörnern ist nichts bekannt.
Da der Löwe offenbar in europäischen Breiten nie heimisch war, gehört der sagenhafte Zweikampf zwischen Einhorn und Löwe um die Herrschaft im Tierreich wohl eher der literarischen Fabelwelt an.
In späteren Überlieferungen symbolisierte das Einhorn den Frühling und der Löwe den Sommer. Wenn sie miteinander kämpften beeinflußte der Ausgang des Kampfes den Lauf der Jahreszeiten. Ebenso mächtig wie der Kampf mit dem Löwen, wird auch der Kampf des Einhorns mit dem Drachen geschildert, wobei dem Drachen „natürlich“ die negative Rolle des unberechenbaren Zerstörers zukam. Als eine Pegasusvariation wird es auch gelegentlich mit Flügeln dargestellt.
Die Größe des Einhorns wird mehr oder weniger wie die des Pferdes angegeben, allerdings ist es auch auf verschiedenen Gemälden sozusagen als Pferdeminiatur festgehalten worden. Das Füllen soll mit goldgelber Fellfarbe zur Welt kommen und sich erst im Laufe seines Wachstums ein reines weißes Fell zulegen.
Weniger bekannt und umso mysteriöser ist das schwarze Einhorn, dessen Horn rot oder schwarz gewesen sein soll.
Sein Lebensraum war der Wald, den es behütete und in dem es alleine unter den anderen Tieren lebte. In der Mythologie kommt ihm dann auch die Rolle des Beschützers des Weltenbaumes zu. In den von einem Einhorn beschützten Wäldern herrschte immer Frühling oder Sommer und nirgendwo gediehen die Pflanzen besser und nirgends waren die Seen sauberer. Dies gilt aber nur solange, wie das Einhorn in seinem Wald bleibt. Wenn es ihn verläßt, kehren die üblichen Jahreszeiten wieder ein. So geht die Sage, daß verschmutztes Seewasser allein dadurch wieder quellsauber wurde, wenn ein Einhorn sein Horn hinein tauchte. Manch einer meinte, dieses Säubern der Seen erfüllte nur den Zweck, daß das als sehr eitel geschilderte Einhorn dadurch besser sein Spiegelbild betrachten konnte.
Eine bekannte Legende berichtet, daß einst ein Einhorn durch Eintauchen seines Hornes in einen vergifteten Teich alle in dem Wald lebenden Tiere vor dem Vergiftungstod rettete.
Seinem Horn und dem daraus gewonnenen Pulver kam denn auch eine besondere Heilkraft zu, die dazu führte, daß im Mittelalter eine regelrechte Phantomjagd auf Einhörner begann. Das Horn wurde gar als Neutralisator für jegliche Vergiftungen gelobt und als „Meßgerät“ gepriesen: falls etwas Vergiftetes in seine Nähe käme, würde es anfangen zu bluten.
Diese medizinischen Weisheiten hielten sich noch sehr lange bis in hohe Mittelalter hinein und es ist nicht verwunderlich, daß viele Arzneimittelhändler oder Apotheken das Einhorn als Berufsstandsymbol über ihrem Geschäftseingang darstellten oder zur Firmenbezeichnung (Einhornapotheke) benutzten. Die Alchimie benutzte das Symbol des Einhorns zur Kennzeichnung des Quecksilbers. In den Bestiarien wurde das Einhorn noch bis ins 18.Jh. geführt.
Die Einhörner galten als sehr menschenscheu, so daß sie nur äußerst selten gesichtet wurden. Es heißt, daß nur Menschen, die fest an Einhörner glauben, sie auch zu sehen bekommen.
Obwohl das Horn als gefährliche Waffe galt und von einigen gar als Phallussymbol angesehen wurde, sprach trotzdem niemand dem Einhorn je seine Tugenden (Reinheit, Jungfräulichkeit, ewige Jugend und Aufrichtigkeit) ab. Noch im späten Mittelalter war das Einhorn Symbol der Jungfräulichkeit und galt als Attribut der Muttergottes und der Magdalena.
Aufgrund dieser Eigenschaften konnte das Einhorn auch nur mit der Hilfe einer Jungfrau eingefangen werden. Anmutige Bilder stellen eine holde Jungfrau am Waldesrand dar, in dessen Schoß ein Einhorn seinen Kopf legt um zu schlafen oder aus dessen Hand es frißt.
Nur einer (unbefleckten, reinen) Jungfrau konnte ein Einhorn Vertrauen schenken, so daß die mittelalterlichen Jäger diese List anwandten um das Einhorn töten zu können und ihm sein wertvolles Horn abzuschlagen. Es heißt, daß noch im 15. Jh. bis zu vierzigtausend Goldstücke für ein Horn geboten wurden – das Elfenbein des Mittelalters.
In der Kunst wurde das Einhorn schon sehr früh verewigt und die Literatur, der Film und die Comicbranche ließen sich auch nicht lange bitten.
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